Weltbilder

Der größte Teil meiner bisherigen Vorstellungen bestand aus Konventionen, die ich schon als kleines Kind durch Kommunikation mit meinen Eltern lernte. Andererseits hinterlässt jede Handlung eine neue Datenspur in meinem Geist, die wiederum meinen Blick auf meine (!) Welt prägt.

Denn „wir sind von dieser Welt und nicht bloß in dieser Welt; wir sind selbst Erscheinungen, da wir ankommen und fortgehen, erscheinen und verschwinden“ – wie Hannah Arendt sagt. Dabei mache ich es mir einfach: Ich gehe von dem aus, was wir heute schon wissen und was ich selbst verstanden zu haben denke. Keine Sorge, das ist spooky genug. Für viele klingen die Feststellungen der Quantenphysik eher nach Sciencefiction als nach einer Beschreibung der Wirklichkeit. Hier die wesentlichen Aussagen der Quantenphysik:

    • Die Newton’sche Trennung von Subjekt und Objekt ist nicht mehr aufrecht zu erhalten.
    • Elementarteilchen existieren, solange sie unbeobachtet sind, weder als Welle noch als Teilchen, sondern als etwas anderes. Wahrscheinlich erscheinen sie erst im Moment der Messung.
    • Was gemessen wird, erscheint klar und definierbar, alles andere aber nicht.
    • Die Wirklichkeit ist nicht eindeutig bestimmt, sondern kohärent, erst das Sicht- und Erfahrbare ist dekohärent – oder erscheint so zu sein.
    • Eine Entweder-Oder Kausalität gibt es nicht, sondern nur eine Sowohl-als-Auch Kausalität. Nichts ist wirklich eindeutig.
    • Zwei Teilchen (wenn man in der Auffassung von „Teilchen“ aus der klassischen Physik denkt), die am gleichen Ort und zur gleichen Zeit entstanden sind, können auf Dauer miteinander verbunden sein, d.h. trotz großer lokaler Distanz ein zusammenhängendes quantenphysikalisches System bilden (Verschränkung).
    • Quantenmechanik erzählt uns einiges über Systeme und Gemeinschaften. Etwa, dass das einzelne Quantenteilchen absolut keinen Plan hat, es reagiert absolut zufällig, ohne eine klare Ursache. Eine ‚Meinung’ entwickelt es erst in der Beziehung zu anderen.
    • Einen objektiven Beobachter, der außerhalb des Geschehens steht, gibt es nicht. Die subjektive Beobachtung verändert die Welt nicht nur, sondern ist für sie konstitutiv.
    • In informationstheoretischen Rekonstruktionen der Quantenmechanik hat Information den Status einer physikalischen Fundamentalgröße.

Das erfordert ein gewaltiges Umdenken. Aber wie sagte doch Anton Zeilinger? „Einstein hat gemeint, die Welt kann nicht so verrückt sein (wie es die Quantenphysik darstellt). Heute wissen wir: Sie ist so verrückt!“ Obwohl, eigentlich ist es genau umgekehrt: Wir sind verrückt, wenn wir nicht endlich davon ausgehen.

Quantenphysik ist etwas für den Verstand, es vermittelt mir Fakten, jedoch keine Philosophie über die Welt, kein Weltbild. Da muss ich dann selber ran, wobei ich mich da am liebsten an Nagarjuna und einigen Ch’an-Menschen orientiere. Die sagen solche Sachen, bei denen auch ein Quantenphysiker mit dem Kopf nicken würde:

„Niemals und nirgends
entsteht eine Erscheinung
aus sich heraus, aus anderem,
aus beidem oder ohne Ursache.“

So wie Nagarjuna zu denken, darin liegt eine besondere Qualität des Denkens. Nagarjuna will uns wegführen von der üblichen einfachen Denkweise, die immer nur vom Entweder-Oder, Schwarz-oder-Weiß ausgeht. Es ist eben zu einfach zu denken, dass entweder etwas aus einer Ursache entsteht oder eben nicht. Stattdessen möchte er uns eine andere, uns noch nicht geläufige Denkwege zeigen, damit wir das „abhängige Entstehen“, die relativistische Vernetzung alles Existierenden verstehen lernen. Und genau so will ich denken können.

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