Konvention

Welche Rolle spielt Konvention in meinem Leben?

Eine Konvention ist eine Regel oder Verhaltensnorm, die von der Gesellschaft aufgrund eines meist stillschweigend beschlossenen Konsenses eingehalten wird, selten, dass sie ausgehandelt wird. Eine der am häufigsten angewendeten Regel ist still zu sein und nichts zu sagen, auch wenn der andere etwas tut oder sagt, was nicht ok ist.

Schweigen ist ja manchmal sehr hilfreich, wenn der soziale Frieden gewahrt werden soll. Nur hat das wie vieles, was „eigentlich“ hilfreich ist, auch seine Schattenseite. Ich habe gerade ein Telefonat geführt, wo über eine dritte Person gesagt wurde, sie sei „verstimmt“ gewesen. War sie aber nicht, sondern sie hatte sich ganz einfach nur über etwas geärgert.

Als ich in dem Telefonat dem Gegenüber widersprochen und festgestellt habe, dass sie eben nicht verstimmt, sondern einfach nur ärgerlich war, bekam ich die Erwiderung, dass das ja das Selbe wäre. Ist es aber nicht, denn über jemanden zu sagen, er sei verstimmt, ist eine Bewertung und eine Abwertung, wenn es überhaupt nicht zutrifft.

Und das hat – für mich – etwas mit Konvention zu tun. Das Thema Konvention finde ich deshalb so wichtig, weil ich mich frage, in welchem Maße die gesellschaftliche Konvention des Nichts-Sagens politische Strömungen begünstigt. Überschreite ich eine rote Linie, wenn jemand in meiner Gegenwart rassistische, rechtslastige, frauenfeindliche oder, wie gerade eben, eine abwertende Bemerkungen loslässt und ich nichts sage, sondern schweige?

Auch aktuell wird über vieles lieber geschwiegen statt geredet – obwohl es notwendig wäre, darüber zu reden. Ich sage immer, an die Decke zu schauen und sich sein Teil denken ist keine Option, sondern es bedeutet für mich, sich hinter einer sozialen Maske zu verbergen und seine wirkliche Meinung zurückzuhalten. Mit dieser Maske zeigt sich letztlich, wessen Geistes Kind ein Mensch ist, welche Rolle er im Leben spielt – bei dem, der beispielsweise etwas Rassistisches sagt wie dem der schweigt!

Mit „Persona“ wird die nach außen hin gezeigte Einstellung eines Menschen bezeichnet, die seiner sozialen Anpassung dient und manchmal (!!) auch mit seinem Selbstbild identisch ist. Der Begriff entspricht dem griechischen Wort für Gesicht, der sich wie auch das lateinische persona bereits in der Antike auf die Bedeutungen ‚Schauspielermaske‘ (wie im antiken Theater), ‚Rolle‘ (im Schauspiel oder Leben [!!!]), ‚Amtsstellung‘ und allgemein ‚Person‘ oder ‚Persönlichkeit‘ auffächerte. Das Wort ‚Persona‘ wurde auch als das ‚Hindurchtönen‘ (personare = hindurchtönen, klingen lassen) der Stimme des Schauspielers durch seine Maske, die seine Rolle typisierte, verstanden.

Das ist der Grund, weshalb ich mich mit der Praxis des Ch’an beschäftige. Denn Ch’an kennt wie auch TCM oder Taoismus keine Psyche. Zwar werden Gefühle wie Emotionen nicht negiert, doch sie werden nicht als für sich existierend angesehen, sondern als bedingt entstanden. Nur mein Ärger ist nicht dadurch bedingt, dass ein anderer mich beleidigt hat, sondern dass ich mich angegriffen gefühlt habe. Und dieses Gefühl habe ich ja nur dann, wenn ich das Bild von mir zu schützen suche.

Daher ist Ch’an, wie Reginald Horace Blyth es einmal ausgedrückt hat, das Spiel der Einsicht, das Spiel, herauszufinden, wer ich unter der sozialen Maske bin. Daher sollte Konvention in meinem Leben idealerweise keine Rolle mehr spielen.

Das ist das Eine. Das Andere ist, wann ich mich anderen gegenüber nicht entsprechend denn konventionellen Regeln verhalten darf, auch wenn diese allgemein „Anerkannt“ sind. Wann darf ich nicht mehr schweigen? Wo fängt Schweigen an, gefährlich zu werden?

Dafür gibt es keine klar definierte Linie. Es ist die Verantwortlichkeit jedes Einzelnen, diese Linie für sich zu erkennen. Das setzt voraus, dass ich meine eigene Geschichte verantworte, also erkannt habe, was sich nicht wiederholen darf.

Das klingt nach der Quadratur des Kreises, denn einseins gibt es keine gesellschaftlich klar definierte Linie, andererseits ist es meine Verantwortung (nicht Aufgabe!) diese Linie klar zu erkennen und dem Handeln eines anderen gegebenenfalls Einhalt zu gebieten, wenn der oder sie die Linie überschreitet.

Lasse ich mich auf das, was ist, wirklich ein, ist diese Linie offensichtlich, denn sie ergibt sich aus dem Menschsein; es ist eine natürliche Linie, die keiner Moral und keiner Ethik bedarf.