Die Sache mit dem Käfig

Woher weiß ich, dass ich auf dem richtigen Weg bin? Wer kennt nicht das Bild des Bärens, der, endlich freigelassen, sich immer noch in genau den – jetzt fiktiven – Grenzen seines bisherigen Käfigs bewegt?

Ich habe so manche geistige Grenze in meinem Leben erkannt und, anders als der Bär, auch überschritten. Doch woher weiß ich, dass ich mich nicht schon wieder in einem, jetzt anderen gedanklichen Käfig bewege – und mir dessen nur nicht bewusst bin?

Vielleicht liegen ja die, die mir immer sagen, ich sollte mir nicht so viele Gedanken machen, ganz einfach falsch, weil sie nicht sehen, was wirklich zu tun wäre, sondern in ihrem Weltbild gefangen sind? Sollte ich mir nicht im Gegenteil viel grundsätzlichere Gedanken machen und den Dingen konsequenter auf den Grund gehen?

Bin ich vielleicht noch an der Oberfläche, denke aber, ich sei ganz unten? Das Dumme ist ja, dass Ich (wie jeder anderer auch) das für wahr halte, was ich eben für wahr halte, auch wenn es nicht stimmt. Ich muss mir darüber im Klaren sein, dass die Erkenntnisse über die Fähigkeit des Menschen, sich ein X für ein U vorzumachen, eben auch für mir selbst gilt.

Das heißt, dass ich erst einmal niemanden glauben darf, nur weil der oder die sich sicher zu sein scheinen. Was natürlich bedeutet, dass auch ich nie sicher sein kann, ob ich mich nicht doch auf dem berühmten Holzpfad befinde. Ich sollte mir  auch nichts glauben, jedoch immer davon ausgehen, dass das, was ich erkannt zu haben glaube, auch korrekt ist. Alles andere würde bedeuten, in die Beliebigkeit abzurutschen

Solange ich die Dinge nicht so wahrnehmen kann, wie sie sind, solange drehe ich mich im Kreis. Nur das weiß ich ja nicht. Was aber nicht bedeutet, mit den Schultern zu zucken und den lieben Gott einen guten Menschen sein zu lassen. Sonder ich sollte mir den Gedanke aus dem Ch’an zu Herzen nehmen, dass nur große Zweifel zu wirklicher Erkenntnis führen, geringe oder keine allenfalls so eine Art des Vor-sich-hin-Lebens bedeuten.

Die Frage, die ich mir also stellen muss, ist ganz grundsätzlicher Art: Wie erkenne ich, was wirklich ist? Vielleicht sollte ich es wie meine Enkel machen, als die noch ganz klein waren. Die dachten damals nicht darüber nach, ob sie sich sicher sein können, dass das, was sie wahrnehmen, auch stimmt, sie nahmen ganz einfach an, dass sie absolut korrekt wahrnehmen könnten.

Als 71 Jähriger weiß ich, dass das eine regelrechte Einladung für Enttäuschungen ist. Ich weiß aber mittlerweile auch, jedenfalls hoffe ich das, was ich dagegen tun kann. Ganz einfach: Ich gehe einfach nicht davon aus, dass ich mir sicher sein kann. Das bedeutet nicht, dass ich anderen misstrauen würde, ich traue ihnen aber auch nicht, sondern bin ganz einfach neutral – und sehr achtsam und aufmerksam. (Übrigens, Liebe hat nichts mit Vertrauen zu tun!)

Und wenn ich mal wieder auf jemanden reinfalle, dann ärgere ich mich nicht über denjenigen, sondern über mich. Ich war dann einfach nicht aufmerksam und habe nicht genau genug hingeschaut, sondern mich auf den anderen „ver-lassen“. Einem anderen zu vertrauen bedeutet nämlich nichts anderes, als die eigene Sorgfalt außer Acht zu lassen.

So halte ich es auch mit meinen Grenzen. Auch wenn ich keine sehe, bedeutet das noch lange nicht, dass da keine sein könnte. Bis zur Erkenntnis jedoch, dass da doch eine ist, verhalte ich mich so, als wäre da keine. Ich muss nämlich an die Gitterstäbe stoßen, um zu merken, dass da welche sind!

Wenn ich also nie anecken will, muss ich akzeptieren, dass ich von den Meinungen anderer rundgelutscht werde. Und das mag ich nicht. Anzuecken bedeutet ja nicht, anderen auf die Nerven zu gehen, sondern etwas für mich zu erkennen. Ganz still und leise. Um dann weiter zu gehen.